Köppels Methodenplagiat

Eine Replik zur Verteidigung der faktenbasierten Klimadebatte

Dominic Hofstetter
4 min readMar 4, 2019
Der Steingletscher in den Urner Alpen ging zwischen 2006 (links) und 2015 (rechts) um 550 Meter zurück. Unter Wissenschaftlern ist seit vielen Jahren unumstritten, dass der Klimawandel stattfindet und wir Menschen die Hauptverantwortung dafür tragen. Foto von James Balog, Extreme Ice Survey

In seinem Pamphlet «Müssen wir das Klima retten?» (Weltwoche,
21. Februar 2019) verkündet Roger Köppel seine Meinung zur aktuellen Klimadebatte. Es schreibt ein Köppel in Hochform. Virtuos und leidenschaftlich führt er uns durch seine Gefühls- und Gedankenwelt. Er bedient sich religiöser Metaphern und gewaltiger Sprachbilder, redet von Sonnengöttern und Fieberschüben und lässt auch die Gelegenheit nicht aus, an den Holocaust und den Postautoskandal zu erinnern. Um trotz seines intellektuellen Redeschwalls volksnah zu erscheinen, erklärt er sich gleich zu Beginn zum Laien und spielt den besorgten Durchschnittsbürger, der mit einer Internet-Recherche der scheinbar drohenen Klimakatastrophe auf den Grund gegangen und zu überraschenden Erkenntnissen gelangt sei.

So brillant die Rhetorik des Artikels sein mag, Köppels Demagogie ist plump und durchschaubar. Seine wissenschaftliche Argumentation basiert hauptsächlich auf den Aussagen des «anerkannten» und «führenden» MIT-Professors Richard Lindzen. Wie Köppel in einem YouTube-Video herausgefunden habe, fände Lindzen es «wissenschaftlich unhaltbar, CO2 zur kontrollierenden Variable der Weltdurchschnittstemperatur zu erklären» und hätte keine Hinweise «auf eine Zunahme extremer Wetterereignisse und stärkerer Stürme» gefunden.

Dabei ist es kein Zufall, dass Köppel ausgerechnet Lindzen zitiert. Hinter der vorgetäuschten Zufälligkeit seiner Bestandesaufnahme steckt Kalkül: Köppel kupfert bei angelsächsischen Konservativen ab und bedient sich bewusst einer Quelle, die seit Jahren für ihre Falschaussagen und Täuschungskampagnen bekannt ist. Schon 2010 deckte Naomi Oreskes, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Harvard Universität, in ihrem sorgfältig recherchierten Buch Merchants of Doubt die Machenschaften der Energielobby auf. Darin beschreibt sie, wie eine Handvoll Wissenschaftler — darunter auch Lindzen — im Auftrag potenter Mineralölfirmen gezielte Verschleierungs- und Verwirrungskampagnen durchführen, um Zweifel am wissenschaftlichen Konsens zu säen. Ihr Ziel dabei ist, im Kampf gegen die anwachsende Faktenbasis die Kontroverse in der öffentlichen Debatte am Leben zu erhalten.

Lindzen ist nichts anderes als ein Unternehmer, der mit Falschinformationen handelt. Zu seinen Kunden gehört unter anderem das Cato Institute, für das er als Berater tätig ist. Finanziert wird dieses von den konservativen Milliardären Charles Koch und David Koch, deren Familienstiftung zwischen 1997 und 2017 mehr als 127 Millionen US Dollar an verschiedene berüchtigte Gruppierungen gespendet hat. Sie alle verfolgen das Ziel, die Klimawissenschaft systematisch zu unterwandern.

Die britische Tageszeitung The Guardian bezeichnete Lindzen als «the climate scientist who’s been the wrongest, longest». Wer sich detaillierter über seine Verfehlungen informieren möchte, kann aus dem Fundus der von Klimatologen betriebenen Webseite Skeptical Science schöpfen. Die Liste haarsträubender Falschaussagen ist so lang, dass sich 22 Klimawissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) — der von Köppel verehrten Universität — im März 2017 genötigt fühlten, sich in einem offenen Brief an Donald Trump von Lindzens Wissenschaft zu distanzieren. Anerkannt und führend sieht anders aus.

Köppels Artikel enthält eine Vielzahl von Falschaussagen, die sich widerlegen lassen. Dass der Klimawandel tatsächlich stattfindet und wir Menschen mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit (>95%) die Hauptverantwortung dafür tragen ist in der Wissenschaft seit vielen Jahren unumstritten. Der fünfte Evaluationsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), des wissenschaftlichen Fachgremiums der Vereinten Nationen, hält fest, dass die Erwärmung des Klimasystems «eindeutig» sei und menschenverursachte Treibhausgasemissionen «mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit die dominante Ursache für die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts beobachtete Erderwärmung» gewesen seien.

Auch der Zusammenhang zwischen Klimaerwärmung und der steigenden Häufigkeit und Stärke extremer Wetterereignisse — von Köppel in Frage gestellt — ist wissenschaftlich belegt. Bereits 2012 veröffentlichte das IPCC einen 600 Seiten starken Spezialbericht über die Auswirkungen des Klimawandels auf Wetterextreme. Dieser hält fest: «Der Klimawandel führt zu Veränderungen in der Häufigkeit, Intensität, räumlichen Ausdehnung, Dauer und im zeitlichen Auftreten von extremen Wetter- und Klimaereignissen.»

Je länger sich der Artikel hinzieht, desto denkfauler argumentiert Köppel. Gegen Ende begräbt er seine zuvor proklamierte Bescheidenheit und behauptet mit absoluter Gewissheit: «Haben wir es wirklich mit einem 97-Prozent-Konsens unter Klimatologen zu tun? Die Antwort lautet schlicht und einfach nein.» Dabei verspürt er weder Lust noch Notwendigkeit zu erläutern, wie seine handverlesenen Anekdoten die jahrzehntelange Arbeit tausender Klimatologen widerlegen.

Der Ursprung der 97 Prozent liegt in einer 2013 publizierten Studie, in denen über 4'000 wissenschaftliche Publikationen aus dem Zeitraum zwischen 1991 und 2011 untersucht wurden. Die Forscher gingen der Frage nach, wie viele dieser Publikationen die These bekräftigen, dass der Mensch die Hauptschuld für die globale Klimaerwärmung trage. Die Antwort: Knapp über 97%. Dieses Resultat wurde drei Jahre später in einer Meta-Studie bestätigt, deren Titel «Konsens über den Konsens» die Absurdität der Debatte auf den Punkt bringt.

Es könnten noch weitere Falschaussagen und aus dem Kontext gerissene Sachverhalte richtiggestellt werden. Aber Köppel geht es nicht um eine objektive Auseinandersetzung mit Fakten. Sein Ziel besteht darin, eine künstliche Kontroverse zu schüren. Er bedient sich dabei einer Taktik, die als «false balancing» bekannt ist. Im Zentrum steht der Versuch, die Validität unterschiedlicher Perspektiven auf einen Sachverhalt ausgeglichener darzustellen, als dies die Beweislage zulässt. Köppel gibt sich als jemand, der zwei Meinungen gegeneinander abwägt und dann feststellt, dass es «genau solche Widersprüche» seien, die ihn «etwas zweifeln» liessen. Indem er beiden Argumenten gleich viel Platz einräumt, verschleiert Köppel das massive Ungleichgewicht, das zwischen der vereinigten Klimawissenschaft und dem Einzelkämpfer Richard Lindzen besteht.

Roger Köppel kopiert eine Reihe abgegriffener Methoden, um eine Polemik zu befeuern, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Indem er Wissenschaftler diskreditiert und sich billiger Ablenkungstaktiken bedient, beraubt Köppel seine Leserschaft der Möglichkeit, sich mithilfe objektiver Informationen eine unabhängige Meinung zu bilden. Schlimmer noch, er stellt ihr in Abrede, was er oft als eines der höchsten Güter der Demokratie verteidigt: die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger. In seinem Eifer, angelsächsischen Konservativen nachzuahmen, lässt er sich zu einem zwar rhetorisch eindrücklichen, aber argumentativ dümmlichen Artikel verleiten. Am Ende teilt sein Beitrag das Schicksal aller Wiederholungen: er langweilt.

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Dominic Hofstetter
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Written by Dominic Hofstetter

I write to inform, inspire, and trigger new strategies for tackling climate change.

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