Beendet Covid-19 die Quengelei in der Schweizer Klimapolitik?

Der Klimaschutz macht Zwangspause. Doch der Kampf um die besten politischen Narrative beginnt bereits heute.

Dominic Hofstetter
4 min readMar 22, 2020
Ein Sonnenblumenfeld in der Schweiz während des Hitzesommers 2018.

Am 27. Februar 2020 kam mein Sohn Hanno zur Welt. Es war die Woche, in der die Hamsterkäufe begannen. Am Tag des Spitalaustritts waren Desinfektionsmittel vergriffen. Die kurzzeitig aufflammende Panik trieb mich dazu, ein angebrochenes Fläschchen aus der Maternité zu stehlen.

Hanno ist ein Corona-Kind — direkt in die Quarantäne hineingeboren. Die Familie und Freunde seiner Eltern kennt er bislang nur aus der sozialen Distanz. Er macht dennoch einen glücklichen Eindruck, auch wenn er oft das macht, was alle Kinder tun: er quengelt, wenn ihm etwas nicht passt.

Beim Versuch, meinen Sohn durch gutes Zureden und praktische Handlungen zu beruhigen, fühle ich mich oft an die Schweizer Klimapolitik der letzten Jahre erinnert. Liberal-konservative Politikerinnen und Politiker meckerten über jeden Versuch, das Netto-Null-Ziel zeitlich vorzuziehen. Sie jammerten beim Gedanken, Treibhausgasemissionen vollständig im Inland zu kompensieren. Sie murrten und knurrten bei allen Vorschlägen, die auf Verbote statt Anreize setzten. Weinerlich und den Tränen nahe verteidigten sie die Ölheizung.

Griffige Vorschläge von Mitte-Links prallten an Ausreden ab, die in einer verstaubten Deutung des Liberalismus wurzeln und deren Pauschalität jedes rationale Argument entkräftet. Man dürfe die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden. Die Landbevölkerung sei auf das Auto angewiesen. Man solle auf die Innovationskraft der Schweiz bauen. Ein Alleingang wäre töricht. Die Schweiz sei klein und mache schon viel, andere Staaten sollten vorangehen.

Mehrheitsfähig war — und auch dies erst im zweiten Anlauf — lediglich ein Potpourri an Massnahmen, in dem weder eine übergeordnete Vision noch eine kohärente Strategie auszumachen sind. Wir kennen es unter dem Namen «CO2-Gesetz» und stimmen voraussichtlich 2021 darüber ab. Dass ein Referendum überhaupt im Raum steht ist der Quengelei der SVP geschuldet. Albert Rösti prophezeit das «Ausbluten des Mittelstands» und verteidigt, einmal mehr, die Ölheizung. Dabei ist der Gesetzesentwurf lediglich eine Aufwärmübung für den Regulierungs- und Lenkungsmarathon der nächsten 10 Jahre. Bestes Beispiel hierfür ist die Flugticketabgabe, die gemäss einer neuen Studie in der aktuellen Ausgestaltung ihre klimatische Sollwirkung verfehlen wird.

Die lauwarme Antwort der Schweizer Politik auf das Klimajahr 2019 steht im krassen Gegensatz zum entschlossenen Handeln bei der Corona-Krise. Innerhalb weniger Wochen beschliesst der Bundesrat Massnahmen, wie sie nur noch unsere Grosseltern aus Kriegszeiten kennen: Grenz- und Ladenschliessungen, Quarantäneverordnungen, Konjunkturpakete.

Auf einmal scheint im Bereich des Möglichen, was im Zusammenhang mit dem Klimawandel bis anhin als das sichere Ende der modernen Schweiz verschrien wurde. Die Pauschalargumente, die in der Klimapolitik so oft vorgeschoben werden, gelten gerade nicht. Ruedi Noser ruft sogar dazu auf, das Momentum zu nutzen, um die Wirtschaft zu modernisieren:

Eine solche Modernisierung benötigt auch unser Energiesystem. Die ZHAW hat errechnet, dass die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energieträger in der Schweiz mit Investitionen von 57 Milliarden Franken zu bewerkstelligen sei. Die Kosten bewegen sich also in derselben Grössenordnung wie die 42 Milliarden Franken, die der Bundesrat zur Abfederung der bevorstehenden Rezession als Wirtschaftshilfe zur Verfügung stellt.

Covid-19 böte folglich eine Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Konjunktur wiederzubeleben und die Energiewende voranzutreiben. Die Idee, der Staat solle 57 Milliarden Franken in die nachhaltige Zukunft der Schweiz investieren, wäre bis vor Kurzem noch am wirtschaftsliberalen Selbstverständnis der Schweiz zerschellt. Heute erscheint sie aber plausibel und machbar, sowohl im Zuge des soeben beschlossenen Konjunkturpakets als auch in der Form eines “Swiss Green Deal”. Die Pandemie hat die Grenzen des Vorstellbaren verschoben.

Nun wäre es aber naiv zu glauben, die Dynamik in der Schweiz Klimapolitik würde sich im Nachgang zur Corona-Krise grundlegend verändern. Sobald wir zur Normalität zurückkehren und uns wieder anderen Themen zuwendenden, werden liberal-konservative Politiker ihre Narrative anpassen, um dem aufkeimenden Optimismus im Mitte-Links-Lager entgegenzuwirken. Die Bürgerinnen und Bürger hätten schon genug gelitten, man könne Ihnen jetzt nicht auch noch eine Energiewende aufbürden. Die Wirtschaft sei schon zu stark gebeutelt, als dass sie eine CO2-Steuer verkraften könne. Und überhaupt müsse man jetzt zuerst einmal zur Normalität zurückkehren, zum Leben vor dem Virus.

Es steht ausser Zweifel, dass Covid-19 auf die Schweizer Klimapolitik abfärben wird. Viele Politiker fühlen sich inspiriert von der Solidarität und der Entschlussfreudigkeit, die in der Schweiz zurzeit herrschen. In naher Zukunft werden wir deshalb vermehrt Stimmen hören, die das Corona-Momentum für ambitionierteren Klimaschutz nutzen wollen.

Inspiration allein wird aber nicht genügen, um die liberal-konservativen Quengler im Parlament und an der Urne zu schlagen. Und die Quengelphase einfach auszusitzen, wie das bei Kindern möglich ist, wird keine Option sein. Befürworter einer griffigen Klimapolitik würden gut daran tun, die Zeit im Home-Office zu nutzen, um sich mit neuen Narrativen für die bevorstehenden Abstimmungskämpfe zu wappnen.

--

--

Dominic Hofstetter
Dominic Hofstetter

Written by Dominic Hofstetter

I write to inform, inspire, and trigger new strategies for tackling climate change.

No responses yet